Wednesday 27 June 2007

Wie man einen Dialog beginnt

In der Schwebe halten von Gedanken, Impulsen. Beurteilungen, usw. bilden das eigentliche Herzstück des Dialogs. Es ist einer seiner wichtigsten neuen Aspekte. Es wird nicht so leicht verstanden, denn diese Aktivität ist sowohl ungewohnt als auch subtil. In Schwebe halten involviert Achtsamkeit, Zuhören, Zuschauen und ist essentiell für das Erkunden. Sprechen ist natürlich wichtig, denn ohne Sprechen gäbe es im Dialog nichts zu erkunden, aber der eigentliche Prozess des Erkundens findet beim Zuhören - den andern und auch sich selber - statt. In Schwebe halten heißt, Reaktionen, Impulse, Gefühle und Meinungen in einer Art offenzulegen, dass sie in der eigenen Psyche wahrgenommen und gespürt werden, und von anderen in der Gruppe gespiegelt werden können. Es bedeutet nicht, sie zu unterdrücken oder sie für später aufzuschieben. Es bedeutet einfach, ihnen ernsthafte Aufmerksamkeit zu schenken, so dass ihre Struktur beobachtet werden kann während sie stattfinden. Wenn sie fähig sind, jenen starken Gefühlen Aufmerksamkeit zu schenken, die das Aussprechen eines bestimmten Gedankens begleiten - von ihnen oder jemand anders - und fähig sind, diese Aufmerksamkeit zu halten, wird sich der Gedankenprozess verlangsamen. Dies erlaubt ihnen dann die tiefere Bedeutung, die diesem Gedankenprozess zugrunde liegt, zu sehen und die oft zusammenhanglose Struktur irgendeiner Handlung wahrzunehmen, die sie sonst möglicherweise automatisch ausführen. Wenn die Gruppe auch imstande ist, solche Gefühle in Schwebe zu halten, und die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, kann der allgemeine Prozess, der vom Gedanken über das Gefühl zum Ausagieren in der Gruppe führt, verlangsamt werden und seine tiefere, subtilere Bedeutung wird zusammen mit impliziten Verzerrungen sichtbar. Das wiederum führt zu einer neuen Art der kohärenten, kollektiven Intelligenz.

Gedanken, Impulse, Beurteilungen, usw., in Schwebe zu halten, erfordert wirkliche Achtsamkeit für den gesamten Prozess, den wir besprochen haben - sowohl den eigenen als auch den der Gruppe. Das erfordert anfangs viel Mühe. Aber wenn man durchhält, entwickelt sich die eigene Fähigkeit für eine derartige Achtsamkeit ständig weiter, sodass immer weniger Anstrengung erforderlich ist.

Anzahl der TeilnehmerInnen: Ein Dialog funktioniert am besten mit zwanzig bis vierzig Personen, die sich in einem einfachen Kreis gegenübersitzen. Diese Gruppengröße ermöglicht das Auftauchen und Beobachten von verschiedenen Untergruppen oder Subkulturen, was das Aufdecken von verschiedenen Arten des kollektiven Denkens unterstützt. Das ist wichtig, denn die Unterschiede zwischen diesen Subkulturen sind oft eine unerkannte Ursache von misslungener Kommunikation und schwelenden Konflikten. Kleineren Gruppen fehlt oft die notwendige Verschiedenheit, um diese Tendenz zu sehen und man wird im allgemeinen die vertrauteren, persönlichen Rollen und Beziehungen (z.B. Familienrollen und -beziehungen) betonen.

In einigen Gruppen hatten wir sogar sechzig TeilnehmerInnen, aber mit einer so großen Gruppe wird der Prozess schwerfällig. Es braucht zwei konzentrische Kreise, damit alle einander hören und sehen können. Das bringt jenen in der zweiten Reihe einen Nachteil, und außerdem haben weniger Personen Gelegenheit zu sprechen.

Wir sollten hier erwähnen, dass manche TeilnehmerInnen sehr viel sprechen und andere es schwierig finden, vor einer großen Gruppe zu reden. Es ist doch wertvoll sich daran zu erinnern, dass das Wort "partizipieren" zwei Bedeutungen hat: "teilen mit" und "teilhaben an". Zuhören ist mindestens so wichtig wie sprechen. Oft werden die Ruhigeren mehr zu sprechen beginnen, sobald ihnen die Dialogerfahrung vertrauter wird, und die Dominanteren werden dazu tendieren, immer weniger zu sprechen und mehr zuzuhören.

Zeitdauer: Ein Dialog braucht Zeit bis er fließt. Er ist eine ungewohnte Art, mit andern zusammen zu sein, und daher braucht es eine Art Einführung. Aber sogar mit einer klaren Einführung wird eine Gruppe Verwirrung, Frustration und Befangenheit erleben und sich fragen, ob sie nun eigentlich Dialog führt oder nicht. Es wäre sehr optimistisch anzunehmen, dass ein Dialog schon beim ersten Treffen zu fließen beginnt oder eine gewisse Tiefe erreicht. Es ist wichtig zu betonen, dass einige Ausdauer nötig ist.

Wenn man einen Dialog einberuft, ist es nützlich, sich gleich anfangs über die Dauer der Sitzung zu verständigen und jemanden zu haben, der/die auf die Zeit achtet. Wir haben herausgefunden, dass zwei Stunden eine optimale Dauer sind. Längere Sitzungen riskieren einen Müdigkeitsfaktor, der oft die Qualität der Teilnahme einschränkt. Viele T-Gruppen nutzen den Müdigkeitsfaktor in ausgedehnten "Marathonsitzungen", um den Widerstand seitens der TeilnehmerInnen zu brechen. Aber Dialog beschäftigt sich mehr damit, soziale Konstrukte und Widerstände, die unsere Kommunikation beeinträchtigen, zu erforschen anstatt sie zu umgehen.

Je regelmäßiger sich die Gruppe trifft, desto tiefer und sinnvoller wird das Terrain erforscht werden. Oft wurden Wochenenden dazu verwendet, mehrere Sitzungen zu ermöglichen, aber wenn der Dialog sich über eine längere Zeitspanne erstreckt, raten wir zu einer Woche Pause zwischen jedem Treffen, damit jede/r das Gesagte reflektieren und weiterdenken kann. Es gibt kein zeitliches Limit für Erkunden in der Gruppe. Es wäre gegen den Geist von Dialog, das festzulegen oder zu institutionalisieren. Es bedarf auch der Offenheit für einen sich ständig ändernden Teilnehmerkreis, sich verändernde Termine oder für sich einschleichende Starrheiten, oder einfach dafür, dass sich die Gruppe nach einiger Zeit auflöst.


Führung:
Ein Dialog ist im wesentlichen ein Gespräch unter Gleichberechtigten. Jegliche Kontrolle, gleichgültig wie achtsam und sensibel, wird wahrscheinlich den freien Fluss der Gedanken sowie subtile oder unangenehme Gefühle verhindern und deren Ausdruck hemmen. Dialog kann leicht manipulierend eingesetzt werden, aber das passt nicht zu dem Geist. Hierarchie hat keinen Platz im Dialog.

Und doch ist anfangs eine Anleitung notwendig, um den TeilnehmerInnen zu helfen, die feinen Unterschiede zwischen Dialog und anderen Gruppenprozessen zu erkennen. Mindestens einer oder besser zwei erfahrene DialogbegleiterInnen sind unentbehrlich. In ihrer Rolle sollten sie gelegentlich auf Situationen hinweisen, die wesentliche Punkte für die Gruppe enthalten, kurz, sie sollten den Prozess der kollektiven Selbstwahrnehmung fördern. Diese Interventionen sollten sich aber nie aufdrängen oder manipulieren. Die Führenden sind TeilnehmerInnen wie alle anderen auch. Anleitung, wenn sie sich als notwendig erweist, sollte immer "aus dem Hintergrund" erfolgen und aus dem Bestreben erwachsen, sich so rasch wie möglich überflüssig zu machen.

Diese Ausführungen sind jedoch kein Ersatz für erfahrene DialogbegleiterInnen. Wir empfehlen, mit der Gruppe am Anfang des ersten Treffens alles durchzulesen, so dass alle TeilnehmerInnen sicher sein können, sich auf das gleiche Abenteuer einzulassen.

Gesprächsgegenstand: Der Dialog kann mit jedem beliebigen Thema, das die TeilnehmerInnen interessiert, beginnen. Wenn einige in der Gruppe finden, dass bestimmte Wortwechsel oder Themen störend oder unpassend sind, ist es wichtig, dass sie diese Gedanken im Dialog ausdrücken. Keine Inhalte sollten ausgeklammert werden.

Oft werden Teilnehmer erst nach der Sitzung Kritik oder Frustration äußern oder zu tratschen beginnen. Es ist aber genau jenes Material, das den fruchtbarsten Ansatz dafür bietet, den Dialog in tiefere Bereiche und Zusammenhänge jenseits der Oberflächlichkeit von "group think", guter Manieren oder Partykonversation zu bewegen.

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