Thursday 28 June 2007

Dialog-Praxis: Im Dialog Konfliktfelder erspüren

Mit dem Dialog Problemfelder erspüren

In der Dialog-Praxis stellen uns diese Prozesse, die rational nicht fassbar und höchst subjektiv sind, allerdings auch vor eine große Herausforderung. Wie teilen wir im Gespräch den anderen diese relevanten Informationen mit? Der Dialog bietet durch seine offene Struktur sehr intuitionsfreundliche Rahmenbedingungen und schafft Raum, die Achtsamkeit gegenüber solchen emotional-körperlichen Prozessen zu trainieren. Anstatt unsere Wahrnehmungen sofort argumentativ legitimieren zu müssen, können wir sie geschützt einbringen und gemeinsam in der Schwebe halten. Dazu müssen wir auch dei Konfusion (Unklarheit) aushalten, die entsteht, wenn ein kontinuierlicher Gesprächsverlauf durch die Intuition unterbrochen wird.
Wie eine Traumsequenz bleibt die intuitive Wahrnehmung ohne weitere Entwicklung und ohne weiteren Kontext fragmentarisch. Oft helfen Metaphern und Analogien im Dialog, diese vagen Eindrücke in Worte zu fassen: "Das Gespräch war wie eine Bergwanderung; lange war das Wesentliche im Nebel, und wir haben nur etwas darin herumgestochert. Dann sind wir immer höher gestiegen und hatten schließlich über dem Nebel freie Sicht auf das ganze Szenario."
Wenn Menschen im Dialog auf intensive Weise in Kontakt kommen, entstehen Verbindungen auf einer unbewusst-emotionalen Ebene, durch die eine Gruppe einen Raum gemeinsamer Intuition öffnet. Gerade in dieser Synergie auf intuitiver Ebene besteht die "transformatorische Kraft des Dialogs" (Ellinor & Gerard 1998)


Intuition im Unternehmensdialog

Indem intuitive Prozesse in den Blick genommen werden, kann der Dialog in Unternehmen und Organisationen deutlich bereichert werden. Lineare Ursache-Wirkungskonzepte können leichter verlassen und MitarbeiterInnen dazu ermuntert werden, vernetzt zu denken, feste Wahrnehmungsgewohnheiten zu ändern und neue Handlungsoptionen zu erproben. Die Intuition steht dabei für ein Bündel verschiedener Kompetenzen wie z.B. der Umgang mit Komplexität und mit Veränderungsprozessen im Unternehmen.


Umgang mit Komplexität

Intuition reduziert die Komplexität von Problemstellungen, indem sie uns relevante Muster zeigt und so hilft, im Chaos hoher Vernetzung und Veränderungsdynamik der Arbeitswelt handlungsfähig zu bleiben. Wenn eine Organisation etwa in der komplexen Vorbereitung und Durchfpührung einer Fusion navigiert, geht es nicht nur um Bilanzen, sondern auch um die Erfassung der psychologischen und sozialen Anforderungen. In Dialogrunden haben Führungskräfte die Möglichkeit, auch die intuitive Einschätzung schwer fassbarer Rahmenbedingungen auszutauschen und zu verdichten: Dabei kann es um die Integrations- und Veränderungsbereitschaft im Unternehmen gehen, um die Konfliktfelder im Zusammentreffen der unterschiedlichen Unternehmenskulturen oder um wesentliche Kommunikationsengpässe.

Changemanagement

In der dialogischen Begleitung komplexer Veränderungsprozesse können wir häufig die Bruchstellen in geplanten Veränderungsprozessen einschätzen und Zusammenhänge der Organisation erkennen, die im Organigramm verborgen bleiben. Besonders wenn die Datengrundlage zu knapp, ausufernd oder einfach widersprüchlich ist, verarbeiten wir im Dialog solche rational schwerfassbaren Informationen auf der intuitiven Ebene. Bei der Durchführung von Veränderungsmaßnahmen liefert uns die Intuition schließlich ein Gespür für den "Kairos", das "richtige" Timing und den "stimmigen" Zeitpunkt von Aktionen, die sich rational kalkulieren lassen.

Strategieentwicklung – Ein Praxisbeispiel

Die besondere Rolle der Intuition im Dialog zeige ich am Beispiel der Strategieentwicklung eines mittelständischen Beratungsunternehmens im Bereich Human Ressource während der Gründungsphase. Mit der strategischen Ausrichtung wollten die vier Gesellschafter eine gemeinsame geschäftsleitende Unternehmensvision entwickeln und diese in Ziele und Maßnahmen übertragen. Der hier zugrunde liegende strategische Visionsansatz versucht, insbesondere das implizite Wissen der Führungskräfte um zukünftige Markt- und Unternehmnsentwicklungen zu nutzen.

Entwerfen von Zukunftsannahmen

In der ersten Phase der Strategieentwicklung entwarfen die Geschäftsführer in gemeinsamen Workshops Zukunftsannahmen über allgemeine Entwicklungen in den Bereichen Markt, Technik, Politik und Kultur. Aus solchen Zukunftsannahmen werden mögliche Chancen und Bedrohungen abgeleitet. Der Intuition kommt eine besondere Bedeutung zu, da sie den Schlüssel zur Antizipation (Vorausschau) zukünftiger Tendenzen darstellt.
Der Prozess verlief methodisch in einem Dreischritt: In einer Phantasiereise wurden die Teilnehmer der Strategieentwicklung in "die Zukunft geführt", wo sie ihre Zukunftsannahmen in Form von Bildern und Szenarien erleben konnten. In Dialogrunden wurden dann die so gewonnenen Ergebnisse inhaltlich von dieser Gruppe weitergeführt. Das so entschleunigte Gespräch ließ Raum dafür, die Mosaiksteine der individuellen Erfahrungen zu einem gemeinsamen Bild zusammenzusetzen. Die Teilnehmer berichteten, dass im Dialog eine Art positiver Gruppen"aufmerksamkeit" entstanden sei, die es ermöglichte, gemeinsam relevante Zukunftsszenarien zu vertiefen. Schließlich wurden die Erkenntnisse in einer gemeinsamen Begriffs- und Kategorienbildung verarbeitet. Das Dialogverfahren hatte in diesem Prozess die Funktion, die Brücke von der introspektiven Einzelarbeit zur strukturierten Gruppenarbeit zu schlagen.

Bilden von strategischen Metaphern

In der zweiten Phase der Strategieentwicklung sollten die Zukunftsannahmen in einzelnen Arbeitsbereichen des Unternehmens durch kreative Impulse angereichert werden. Dazu wurden in den Dialog sogenannte "Strategeme" eingeführt: Fragen, die als Kristallisationspunkte für neue Ideen dienten und feste Denkgewohnheiten aufbrachen. Um zu dem Dienstleistungsangebot "Konfliktberatung und Krisenintervention" kreative Ideen zu entwickeln, wählte die Gruppe das Strategem "Strategische Verwandtschaft", mit der Frage: Wie hat man die Aufgabe in anderen Arbeitsbereichen gelöst, und was lässt sich daraus lernen? Ein Gesellschafter hatte dazu intuitiv das Bild: "Krisenberatung ist, wie einen Brand zu löschen". Im Dialog entwickelten sich anhand dieser strategischen Metapher weitere Ideen: Berater müssen bereit sein, für ihre Kunden "ins Feuer zu gehen" (d.h. sich heiklen Situationen stellen), müssen schnell und effektiv intervenieren und die Gefahren abschätzen können. Sie müssen aber auch wirkungsvollen "Brandschutz" leisten (Konfliktprophylaxe) und nach einer Krise beim "Wiederaufbau" helfen. Darüber hinaus konnten die Teilnehmenden im Dialog auch eigenen Erfahrungen mit Krisensituationen und deren Lösung vertiefen und in die Strategieentwicklung einfließen lassen.

Aufdecken von Konfliktfeldern bei der Implementierung


In der dritten Phase der Strategieentwicklung wurden die Anforderungen und Aufgaben, die sich aus der Strategievision für das Unternehmen ergeben, konkretisiert. Die Dialogrunden boten Raum, mögliche Konfliktfelder in der Umsetzungsphase der Strategie oder Kommunikationsengpässe auch intuitiv abzuschätzen.
Ein eindrucksvolles Beispiel für einen intuitiven Prozess ergab sich in einem strategischen Dialog der Gesellschafter über das weitere Vorgehen bei der Implementierung. Der Dialog kam plötzlich ins Stocken; einer der Beteiligten spürte einen zunehmend unangenehmen Druck im Kopf, ein anderer klagte über Konzentrationsschwäche und ein Dritter reagierte mit einer für ihn unerklärlichen Unruhe und Aggression. Zunächst ließen sich diese Phänomene nicht erklären und sorgten für Irritation. Die Gruppe beschloss jedoch, die Symptome nicht einfach zu ignorieren, sondern sie "in der Schwebe zu halten" und als intuitive Information im Dialog zu bewerten. Nach einiger Zeit wurde deutlich, dass ein nicht geklärter Konflikt mit einem fehlenden Gruppenmitglied entscheidend auf die weitere Planung Einfluss nehmen würde. Als dies offiziell in die weiteren Planung einbezogen wurde, änderte sich die Stimmung schlagartig, die Körpersymptome verschwanden und die Gruppe konnte mit Energie an den weiteren Umsetzungsschritten arbeiten.
In diesem Fall äußerte sich die Intuition stark körperlich und deutete auf einen übersehenen Konflikt hin, der die weitere Kooperation in der Umsetzung der Strategie deutlich behindert hätte. Die Dialog-Teilnehmer äußerten danach, dass der Dialog sich besonders dazu eignete, Problemfelder zu "erspüren", die an dieser Stelle nicht bewusst sind oder zum Teil verdrängt wurden. Im Dialog war es dann möglich, eine Brücke zur bewussten Wahrnehmung zu schlagen und damit die Möglichkeit zur Reflexion und zur Problemlösung zu eröffnen.

Vertiefen der strategischen Vision

Die Entschleunigung in den Dialogrunden eröffnete während des gesamten Prozesses der Strategieentwicklung immer wieder den Zugang zu intuitiven und kreativen Ressourcen. Darüber hinaus konnten die Teilnehmenden die unterschiedlichen mentalen Modelle, die sie der strategischen Ausrichtung zugrunde legten, reflektieren und ein gemeinsmaes Verständnis von der Mission des Unternehmens, das die Einzelinteressen bündeln kann, entwickeln. Im weiteren Prozess verdichtete sich so eine unternehmerische Vision mit kraftvollen, symbolischen Leitbildern, die sich nicht nur in Hochglanzpapieren niederschlug, sondern die beteiligten Gesellschafter auf einer sinngebenden, intuitiven Ebene ansprechen konnte.

Literatur
Damasio, A. (1999): Descartes´Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. dtv Verlag
Ellinor, L. Gerard, G. (1998): Der Dialog im Unternehmen. Knaur Verlag
Hänsel, M. (2001): Intuition als Beratungskompetenz in Organisationen, Dissertationsschrift an der nmed. Fakultät der Universität Heidelberg
Micic, P. (2001): Der Zukunftsmanager. Haufe Verlag

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