Wednesday 27 June 2007

Vom Wesen des Dialogs

Eine Gruppe sitzt im Kreis auf einer Bühne und ist in ein intensives Gespräch vertieft. Die Teilnehmer befinden sich in einer Art intimem Theater, in dem sie Darsteller und Zuhörer zugleich sind. Sie streiten, weil sie nicht einer Meinung sind, aber ihre Auseinandersetzung hat etwas Verbindendes.
Sie hören einander intensiv zu, achten auf Sprache, Rythmus und Klang des Gesagten. Das Schweigen zwischen den Äußerungen wirkt ebenso eindrucksvoll wie die Worte. Jedesmal, wenn jemand etwas sagt, verändert sich ein subtiles Gewebe;

man hat etwas Neues gesehen. Jeder weiß, dass alle in der Gruppe es gesehen haben und dass es mehr ist als das Wahrheitsmodell eines einzelnen.


Während die Menschen im Kreis das Gespräch fortsetzen, wird das Bewußtsein einer von allen geteilten Bedeutung immer größer und klarer. Die Teilnehmer gewinnen allmählich einen nie dagewesenen Einblick in ihre grundlegenden Ansichten. Niemand kann allein zu dieser Form des Denkens vorstoßen, und selbst eine Gruppe muss eine bewußte Anstrengung unternehmen, um den Kontext für ein gemeinsames Denken zu schaffen.

Dazu braucht man eine Übung wie den Dialog.

Der Dialog ist nicht nur eine Ansammlung von Techniken für die Organisationsentwicklung, Kommunikationsförderung, Konsensbildung oder Problemlösung.

Er basiert auf dem Prinzip, dass Begreifen und Handeln durch den Wesenskern einer gemeinsamen Bedeutung auf das Engste miteinander verknüpft sind.

Während des Dialogprozesses lernen Menschen, gemeinsam zu denken – nicht nur im Sinne, dass sie ein gemeinsames Problem (=Bedarfslücke) analysieren oder neue Teile eines gemeinsamen Wissens erschaffen, sondern in dem Sinn, dass sie eine kollektive Sensibilität entwickeln, in der die Gedanken, Emotionen und die daraus resultierenden Handlungen nicht einem Individuum allein gehören, sondern allen zusammen.

Wie David Bohm* ausführt, gewinnt offenbar das Denken selbst eine neue Qualität, wenn die Ursachen der Gedanken wahrgenommen werden. Die Menschen fangen an, sich von allein auf koordinierte Handlungsmuster zuzubewegen, ohne den künstlichen, langweiligen Prozess der Entscheidungsfindung.

– Sie fangen an, einer gemeinsamen Ausrichtung entsprechend zu handeln.
– Sie müssen keinen Aktionsplan ausarbeiten, um festzulegen, was jeder tun soll, ebensowenig wie ein Vogelschwarm (– auch ein schönes Natur-AbBild! –), der mit perfekter Koordination von einem Baum abhebt, sein Flugmanöver planen muss.
– Jedes Teammitglied weiß ganz einfach, welches Handeln von ihm »erwartet« wird (oder besser, welches Handeln am besten ist), weil alle zu einem größeren Ganzen gehören.

Beispiele:

Bei den verschiedensten Dialogprojekten haben wir gelernt, wie man diesen Prozess in den unterschiedlichsten Umgebungen fördern kann – zum Beispiel bei einem kommunalen Krankenhauskonsortium, das von einer feindseligen Wettbewerbshaltung durchdrungen war, bei einer Gruppe von Führungskräften aus Wirtschaft und Politik, bei einem Stahlhersteller, der seit Jahren unter dem erbitterten Streit von Gewerkschaft und Management litt, und bei einer Gruppe von Stadtvätern in einer Großstadt.

Der MIT (Technische Hochschule Massachusetts) hat versucht 100 Jahre Dialogtheorie in die Praxis zu übertragen, und diese Theorie zu einer verläßlichen Handlungsgrundlage auszubauen.
Es stellte sich heraus, dass die Theorie weitreichende praktische Anwendungsmöglichkeiten bot.

Wie Margaret Mead sagte:
(sie war eine US-amerikanische Anthropologin und Ethnologin. Sie gilt als eine der entschiedensten Vertreterinnen des Kulturrelativismus im 20. Jahrhundert. Sie vertrat die Auffassung, dass Sozialverhalten formbar und kulturbestimmt sei.)

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» Kleine Gruppen nachdenklicher, besorgter Bürger können die Welt verändern. Tatsächlich ist dies die einzige Methode, die je erfolgreich war.«
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Der Zweck des Dialogs, wie wir ihn heute verstehen, ist die Schaffung einer Umgebung, in der man die kollektive Aufmerksamkeit bewußt aufrechterhalten kann.*
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* David Bohm, Unfolding Meaning (1995, Loveland, Colorado: Foundation House;)
(Dtsch.: Die verborgene Ordnung des Lebens, 1988, Grafing: Aquamarin)

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