Saturday 30 June 2007

Intuition - Das neurologische Wechselspiel zwischen Emotion und Rationalität

Aktuelle neurologischen Forschungen, exemplarisch dargestellt durch ein Beispiel des amerikanischen Neurologen Antonio Damasio, belegen eindrucksvoll die Bedeutung unserer menschlichen Emotionen und Affekte für ein gesundes und effektives Denken. Damasio zeigte, dass es Zusammenhänge zwischen Emotionalität/Intuition und Denken im menschlichen Gehirn gibt, die eine Grundlage unserer Denkprozesse sind. Er untersuchte unter anderem PatientInnen mit Störungen der sogenannten Stirnlappen, ein Bereich im Gehirn, der namensgemäß hinter der Stirn liegt. Es handelte sich meist um Schädigungen, die durch Tumore und die damit verbundenen Operationen hervorgerufen wurden.

So musste beispielsweise im Fall „Elliot“ (Damasio 1999, S. 64-85) aus medizinischen Gründen nicht nur der Tumor, sondern auch umliegendes Gewebe der besagten Stirnlappen entfernt werden. Dies hatte fatale Folgen für das Denkvermögen dieses Patienten: Elliot war ehedem beruflich und privat ein erfolgreicher Mann zwischen dreißig und vierzig, der nach dieser Operation allerdings eine massive Persönlichkeitsveränderung durchmachte: Er war auch nach dem Eingriff ein überdurchschnittlich intelligenter Mann, gemessen an psychologischen und neurologischen Tests. Allerdings war er nicht mehr fähig, seinen Beruf weiterhin auszuführen, da er sich weder an Zeitpläne halten konnte noch in der Lage war, übergeordnete Zusammenhänge zu erkennen und Prioritäten zu setzen. Schließlich wurde er entlassen und wendete sich unterschiedlichsten Arbeitsfeldern zu, von denen er keines mehr erfolgreich ausführen konnte. Durch dubiose Geschäfte kam er schließlich in den Bankrott.

Seine Familie konnte diese Entwicklung nicht nachvollziehen, so dass es auch noch zur Scheidung kam. Diese durchweg tragische Geschichte ist eines von vielen Beispielen für den Zusammenhang von emotionalen und rationalen Vorgängen: Im Bereich der geschädigten Stirnlappen vollzieht sich unter anderem die bewusste Verarbeitung emotionaler Prozesse, die in einem engen neurologischen Wechselspiel mit Denk-, Plan- und Entscheidungsprozessen steht. Im Falle von Schädigungen dieser Bereiche kommt es zu solch typischen Fehlfunktionen wie im Falle Elliot. Der in Fachkreisen bekannte Berner Psychiater Luc Ciompi entwickelte in seinem Buch „Die emotionalen Grundlagen des Denkens“ aus seiner jahrzehntelangen Praxis eine profunde Theorie, anhand derer ebenfalls die enge Verbindung zwischen Emotionen/Affekten und Denken deutlich wird. Er führt die affektlogische Theorie aus, „wonach emotionale und kognitive Komponenten – oder Fühlen und Denken, Affekte und Logik – in sämtlichen psychischen Leistungen untrennbar miteinander verbunden sind und gesetzmäßig zusammenwirken.“
Ciompi 1997, S. 46)

No comments: