Saturday 9 November 2019

Der Dialog als die fortgesetzte kollektive Erforschung von Alltagserfahrungen und scheinbaren Selbstverständlichkeiten

Dialog kann zunächst definiert werden als die fortgesetzte kollektive Erforschung von Alltagserfahrungen und scheinbaren Selbstverständlichkeiten.

Das Ziel des Dialogs ist es, neue Gebiete zu erschließen, indem man einen »Container« oder »Feld« für Untersuchungen einrichtet:
eine Umgebung, in der die Menschen sich des Kontextes ihrer Erfahrungen bewußter werden können, ebenso wie der Denk- und Gefühlsprozesse, die diese Erfahrung herbeigeführt haben.

Während wir einen Dialog führen, achten wir auf das, was zwischen den Zeilen steht, nicht nur auf die Wörter selbst, auf das Timing der Handlung, nicht nur auf das Ergebnis, auf das Timbre und den Klang einer Stimme, nicht nur auf den Inhalt des Gesagten.
Wir achten auf die Bedeutung des Erkundungsfeldes, nicht nur auf seine einzelnen Elemente.

Kurz gesagt: der Dialog schafft Bedingungen, in denen die Menschen den Vorrang des Ganzen unmittelbar erleben.

»Dialog« ist ein sehr alter Begriff. Es gibt Hinweise darauf, dass Menschen sich seit Jahrtausenden in kleinen Gruppen versammelt haben, um miteinander zu reden.

Der Dialog unterscheidet sich von der üblichen »höflichen« Konversation, aber sobald man sich darauf einlässt, empfindet man diese Art des Gesprächs als etwas ganz Natürliches. Das erklärt vielleicht, warum der Dialog in modernen Umgebungen trotz einer Reihe von institutionellen Hindernissen so erfolgreich gedeiht.

Das Wort »Diskussion« kommt vom lateinischen discutere, was »in Stücke schlagen« bedeutete.

Die Diskussion ist ein Gesprächsmuster, das die Fragmentierung fördert. Die qualifizierte Diskussion unterscheidet sich allerdings von einer unproduktiven Diskussion, weil die Teilnehmer nicht ausschließlich damit beschäftigt sind, »Verteidigungsschlachten« um ihren eigenen überlegenen Standpunkt zu führen.

Sie entwickeln ein Reportoire an Techniken (wie zum Beispiel kooperative Reflexions- und Erkundungsfertigkeiten), um zu untersuchen, wie die Komponenten ihrer Situation zusammenpassen, und sie entwickeln ein tieferes Verständnis für die Kräfte, die zwischen den Team-Mitgliedern selbst im Spiel sind.

In der qualifizierten Diskussion trifft man eine Wahl;
in einem Dialog erforscht man das Wesen der Wahl.

Dialog ist wie Jazz;
qualifizierte Diskussion ist wie Kammermusik.

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