Monday 3 March 2008

Flow-Erleben: Abheben vor Glück

Abheben vor Glück
Wer in seiner Arbeit aufgeht, lebt erfüllter und zufriedener, doch oft fehlt es dazu an den Voraussetzungen
Die Zahlen sind erschreckend. Neun von zehn Arbeitsnehmern in Deutschland verspüren keine echte Verpflichtung ihrer Arbeit gegenüber. 69 Prozent machen lediglich Dienst nach Vorschrift, 18 Prozent haben die innere Kündigung bereits vollzogen. Das belegt eine Gallup-Studie vom Oktober 2004 zum Engagement am Arbeitsplatz. Der gesamtwirtschaftliche Schaden der fehlenden emotionalen Bindung beläuft sich auf eine Summe zwischen 234 und 245 Milliarden. Euro. Auf der anderen Seite besitzt der Job für die meisten Menschen einen hohen Stellenwert. So würden sieben von zehn Befragten selbst dann weiterarbeiten, wenn sie auch ohne berufliche Tätigkeit finanziell sorgenfrei leben könnten.
Im Grunde sei unser Organismus für die Arbeit geschaffen, behauptet der Forscher Mihaly Csikszentmihalyi. Das menschliche Nervensystem funktioniere dann am besten, wenn es gefordert und auf eine Aufgabe gerichtet sei. Berühmt wurde der amerikanische Professor für Unternehmensführung an der Claremont Graduate University in Kalifornien durch die Beschreibung des Flow-Phänomens. Darunter versteht man das völlige Aufgehen in einer Tätigkeit. Gefesselt von der Aufgabe und voll konzentriert vergißt man Raum und Zeit. Menschen im Flow-Erleben sind kognitiv effektiv, motiviert und glücklich. Flow kann man bei den verschiedensten Tätigkeiten erleben, sei es beim Bergsteigen, beim Autoreparieren oder eben im Job.
Für Mihaly Csikszentmihalyi ist die Berufsarbeit dabei sogar die Hauptquelle von positiven Emotionen. Demgegenüber sei die Freizeit primär durch Langeweile und Apathie gekennzeichnet. Urs Schallberger, Psychologieprofessor an der Universität Zürich, kann dies durch seine Forschungen bestätigen: "Streßarme Arbeit und erfüllte Freizeit sind kein brauchbares Glücksrezept." Damit es im Job zu Glücksgefühlen kommt, sind für Csikszentmihalyi drei Dinge notwendig: Die objektiven Bedingungen des Arbeitsplatzes müssen attraktiv sein und persönliches Wachstum ermöglichen. Der Job muß von der Gesellschaft als sinnvoll und wertvoll eingeschätzt werden und die Einstellung zum eigenen Job muß stimmen.
"Nur bei den wenigsten Unternehmen gibt es Arbeitsbedingungen, die Flow ermöglichen", kritisiert Renate Rau. In einer Studie befragte die Psychologieprofessorin der Technischen Universität Dresden Mitarbeiter im Arbeitsamt und bei einer Softwarefirma nach ihrem Flow-Erleben. Nur etwa jeder vierte hatte im Job schon einmal Glücksgefühle erlebt. Interessanterweise hätten jedoch viele sofort genau gewußt, welches Gefühl gemeint sei, aber es eben nicht bei der Arbeit erlebt. Um Flow zu erleben, braucht man vor allem herausfordernde Aufgaben und genug Handlungsspielraum bei der Ausführung. Diejenigen, die von vielseitigen und ganzheitlichen Aufgaben erzählen, hätten auch den höchsten Flow-Wert, bestätigt Psychologieprofessor Urs Schallberger. Ein guter Vorgesetzter berücksichtige das bei der Aufgabenzuteilung. Dabei müsse man zwischen Makro- und Mikro-Flow unterscheiden. Zur ersten Kategorie gehören die großartigen und aufwühlenden Erlebnisse wie eine Bergbesteigung. Im Beruf gebe es eher kleinere und kürzere Flow-Episoden, an die man sich oft gar nicht erinnert. Wie häufig jemand Flow erlebe, hänge auch von der Persönlichkeit des Einzelnen ab. Dabei stellt sich das Glücksgefühl eher bei der Einzelarbeit ein. "Im Gespräch kann ich mich nur schwer selbst vergessen", erklärt Rau. Auch im Team sei es schwieriger. Sobald dort Konkurrenzdenken herrsche oder Störungen von außen kämen, sei es vorbei mit dem positiven Erleben. Unabdingbar sei auch eine störungsfreie Arbeitszeit. "Wenn permanent das Telefon klingelt, erlebe ich keinen Flow."
Ein wesentlicher Flow-Killer sind Vorschriften und Regeln. "Das blockiert die Mitarbeiter und macht sie weniger effizient", sagt Rau. "Wir lernen nur, wenn wir etwas ausprobieren und eine Rückmeldung kriegen." Flow sei daher wichtig für die persönliche Weiterentwicklung. Wer aber das Gelernte nicht nutze, der dequalifiziere sich Rau empfiehlt daher, unbedingt seine Fähigkeiten auch außerhalb des Jobs zu pflegen. Dazu komme, daß die Feedback-Kultur in Deutschland nur schwach ausgeprägt sei. Wenn es überhaupt Rückmeldungen gebe, dann seien diese negativ.
Das bestätigt auch die Gallup-Studie. So beklagen sich sechs von zehn Befragten darüber, daß die Förderung ihrer individuellen Entwicklung auf der Strecke bleibt und sie kein regelmäßiges Feedback über ihre persönlichen Fortschritte bekommen. Und laut einer aktuellen Umfrage der Jobbörse StepStone bei mehr als 10 000 Jobsuchenden in acht Ländern Europas gehen dabei vor allem die Chefs in deutschen Unternehmen sehr sparsam mit Lob und Anerkennung um: So hat mehr als die Hälfte der Beschäftigten den Eindruck, daß ihre Leistungen von ihrem Vorgesetzten nicht geschätzt werden. Nur 28 Prozent wissen sicher, daß ihre Arbeit honoriert wird. Damit stehen die Deutschen im Vergleich zu ihren europäischen Kollegen deutlich schlechter da. Vor allem die niederländischen Befragten erfreuen sich einer hohen Wertschätzung ihrer Arbeit: Knapp 80 Prozent wissen, daß ihre Arbeit anerkannt wird. Bei den Norwegern und Italienern sind es rund zwei Drittel.
Während fehlendes Feedback und zu wenig Handlungsspielraum die Weiterentwicklung und das Glücks-Erleben behindern, ist Streß nicht unbedingt ein Flow-Killer. "Man braucht keine Schonumgebung", sagt der Schweizer Forscher Urs Schallberger. So hätten Arbeitsenthusiasten, die freiwillig 50 Stunden in der Woche arbeiten, trotz erheblichem Streß relativ viele Indikatoren für Flow. Nur wenn der Druck eine gewisse Grenze überschreite, wirke er sich negativ auf die Glücksgefühle aus.
Zu viel Flow birgt allerdings auch Gefahren. So hat Rau bei einem Chiphersteller beobachtet, daß dort jeder zweite Entwickler aufgrund der vielen Überstunden unter Bluthochdruck litt. "Die waren einfach am Limit und hatten nicht mehr genug Zeit zum Erholen", sagt Rau und mahnt: "Wer sich auspowert, bringt keine Höchstleistung." Unternehmen müßten daher aufpassen, daß sie ihre teuren Mitarbeiter nicht verheizen. Das gelte vor allem bei Berufsanfängern. "Die gehen manchmal so in ihrem Job auf und machen Überstunden ohne Ende, daß sie sich selbst überfordern", warnt Rau. "Und nach ein paar Jahren sind sie dann ausgebrannt."

Quelle:
5. März 2005, 00:00 Uhr
Von Bärbel Schwertfeger
aus WELT-Online

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